Leseprobe

Leseprobe zu „Im Zeichen von Licht und Schatten“

Licht verklingt, erliegt der Stille,
atemlos einem Nebelhauch gleich.
Schatten schreit, lautlose Einsamkeit,
Dunkelheit stäubt die Zeit.

Das Haus war still. Ich atmete tief ein. Gott war das gut. Ich fühlte, wie langsam die Spannung von mir abfiel. Es war schön, mein Haus wieder nur für mich allein zu haben – jedenfalls beinah. Nachdem die halbe Vampirarmee bei mir eingefallen war, genoss ich unser trautes Zusammensein. Raffael hingegen blieb auffällig ruhig, sein Teller unberührt. Lediglich dem Wein hatte er zugesprochen. Ich rutschte unruhig auf meinem Sessel hin und her, sein Verhalten beunruhigte mich ein wenig. Mit einem Ruck schob er urplötzlich energisch seinen Sessel beiseite und stand auf. Er stützte seine Hände rechts und links neben meinem Teller auf und betrachtete mich unverwandt mit zusammengekniffenen Augen. Rote Funken zuckten unkontrolliert in seiner Iris auf.

   „Ich will dich“, knurrte er hungrig, seine Reißzähne funkelten im Schein der Kerzen.

  Nur mühsam konnte ich meine Belustigung verbergen. Das also hatte ihm quergelegen. „Und was, großer Meister hält dich davon ab? Du legst dir doch sonst nicht eine derartige Zurückhaltung auf?“, fragte ich ihn mit schräggelegtem Kopf.

  Sein Blick wurde vorwurfsvoll: „Mach dich nicht lustig über mich. Du machst mich wahnsinnig. Ich will dich am liebsten dort oben in deinem Zimmer auf deinem Bett haben und dich nicht wieder in Ruhe lassen, bis du mich um Gnade anflehst.“

   Ich fühlte wie mir das Blut in die Wangen schoss und auch andere Teile meines Körpers wurden spürbar besser durchblutet. Meine Lippen fühlten sich an wie ausgetrocknet und meine Zungenspitze huschte kurz darüber, um sie möglichst unauffällig zu befeuchten. Raffaels Blicke folgten dieser winzigen Bewegung wie hypnotisiert. Seine offen zur Schau gestellte Begierde erregte mich, weckte verschüttet geglaubte Gefühle in mir. Mein Gehirn schaltete auf Notbetrieb um. „Spitzenmäßige Idee, aber wie gesagt, was hält dich von der Durchführung ab, McConnor?“  

  Er trat noch einen weiteren Schritt auf mich zu und stand jetzt so nah bei mir, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen. Abrupt zog er mich von meinem Sessel empor und schleuderte diesen mit einer leichten Bewegung seines Handgelenks ungeduldig davon. Krachend prallte das derart gebeutelte Polstermöbel gegen meinen Schreibtisch und brach protestierend knirschend auseinander. Seufzend ob dieser Zerstörung mir liebgewonnener Möbelstücke zuckte ich zusammen, schloss für einen Moment resigniert die Augen. Trotzdem wich ich nicht einen Zentimeter zurück. Raffael umfing mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich gierig, rücksichtslos. Meine Lippen erwiderten seinen Kuss, wollten noch mehr von ihm trinken. Dass seine Küsse nicht zärtlich waren, sondern wahrscheinlich meinen Lippen böse mitspielten, war vollkommen unwichtig. Meine momentane Gemütslage verlangte nicht nach Rücksichtnahme, benötigte diese wilde Gier.

   „Weil ich, zum Teufel noch mal, fürchte, ich würde nicht haltmachen.“, brachte Raffael mühsam hervor, „Ich fürchte, ich würde nicht nur deinen anbetungswürdigen Körper, sondern auch dein köstliches Blut nehmen.“

  Nun trat ich doch einen Schritt zurück, misstrauisch beäugte ich meinen Schotten: „Und wo liegt da das Problem? Du hast doch schon von meinem Blut getrunken.“ Plötzlich kam mir ein entsetzlicher Gedanke: „Liegt es vielleicht daran, dass du Gefallen an ganz anderen Getränken gefunden hast?“, schnaubte ich böse, „so, so, die Cocktails Baby Blue und blonde Sirene vernebeln dir immer noch die Sinne, ja?“ Das gelbgrüne Monster Eifersucht kochte wieder in mir hoch und ich stieß Raffael erbost die Faust gegen die Brust. Leider, wie immer, ohne den geringsten Erfolg. Raffael blieb, unbeeindruckt von meiner körperlichen Intervention, wie festgemeißelt stehen. Allerdings zeigte sich ein leichtes Zucken in den Mundwinkeln. Er würde es doch nicht wirklich wagen, meine Gefühlslage zu bagatellisieren, indem er lachte? Ich wurde allmählich wirklich böse.

  Besänftigend nahm er meine Hände und ließ sich auch nicht von mir abschütteln: „Du denkst tatsächlich, nur weil ich nicht von dir trinken will, ich hätte eine andere Quelle für mich entdeckt? Herr Gott, Cathleen, nein, weder Lynn noch das Blut der jungfräulichen Auserwählten stellen eine Versuchung für mich dar. Seit unserer Rückkehr aus New York faste ich und ich habe Angst, mich nicht unter Kontrolle zu haben. Ich will dich nicht verletzen.“

Nun war ich tatsächlich verwirrt. Vollkommen ahnungslos. Was sollte das denn nun wieder bedeuten, warum verzichtete mein Liebster auf Nahrung?

  In seinen Augen spiegelte sich meine Irritation: „Oh, du meine ahnungslose Süße. Wenn ich das Ritual mit dir vollziehe, darf kein fremdes Blut mehr in meinen Adern kreisen. Erst danach kann ich von dir trinken. Erst dann, wenn dein und mein Blut in meinem Körper vereint sind, kann ich dir von meinem Blut geben. Dann erst sind wir eins.“

  Gebannt blickte er mich an. Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand vor den Kopf. Das Ritual. In der Aufregung der vergangenen Tage hatte ich das Ritual vollkommen vergessen. Nun ja, Raffael hatte, wie üblich, wieder einmal nicht über die Einzelheiten gesprochen, aber ich wollte ausnahmsweise nicht so kleinlich sein.

   „Mhm“, machte ich und tat so, als müsste ich überlegen, „würde es dir unter Umständen helfen, wenn ich mir eine Manschette aus Chirurgenstahl um den Hals legte?“

  „Ich weiß nicht so genau“, knurrte er leise zur Antwort, „meinst du, das würde mich tatsächlich von deinem entzückenden Hals fernhalten können? Außerdem: Wer spricht denn eigentlich immer vom Hals, nicht dass ich etwas gegen ihn hätte, aber es gibt doch noch so unendlich viele andere bezaubernde Alternativen.“ Spielerisch biss er mir in den Nacken.

  Quietschend schob ich ihn von mir, das heißt ich versuchte ihn von mir zu schieben, was natürlich vollkommen illusorisch war. „Oh“, stieß ich atemlos hervor und gab es endgültig auf Desinteresse zu heucheln. Zumal Raffael in der Zwischenzeit begonnen hatte, den Knöpfen meiner Bluse seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Seine Zähne knabberten in bisher unentdeckten Gebieten, die seine Finger soeben behutsam freigelegt hatten. Diese anderen Möglichkeiten schwebten ihm also vor. Von meinen Zehenspitzen aus fing mein Körper an zu kribbeln. Unschuldig hob ich meine Augen zu ihm, versuchte mich an dem koketten Augenaufschlag, den Samantha so sehr perfektioniert hatte.

   „Willst du damit sagen, du gehst jetzt voll auf Risiko, Meister Reißzahn?“, grinste ich ihn verschlagen an.

  Seine Augen funkelten belustigt. „Tja“, sagte er, „ich glaube, ich werde dieses Abenteuer eingehen können, meinst du nicht auch?“ Raffael wartete nicht auf eine Antwort, sondern hob mich hoch und legte mich quer über seine Schultern. Erschrocken strampelte ich mit den Beinen, um wieder auf den Boden zurück zu kommen, aber Raffaels Griff war unnachgiebig. Als ich nicht aufhören wollte mich zu bewegen, versetzte er mir einen leichten Klaps auf den Hintern. Schockiert hielt ich in meinen Abwehrbewegungen inne, zumal er seine Hand genau dort liegen ließ und zu bedeutend liebevolleren Berührungen überging. Da meine zappelnden Füße keinerlei Eindruck auf dieses zum Neandertaler mutierte Vampirmännchen machten, gab ich meinen Widerstand auf.

  „Lass mich sofort wieder runter, McConnor. Glaub ja nicht du kannst mich abschleppen wie ein Höhlenmensch.“

   Zur Antwort und um mich zur Ordnung zu rufen, biss er mir lediglich strafend in den Oberschenkel, was mich belustigt aufkreischen ließ. Ohne viel Federlesens öffnete er die Tür zum Flur und schleppte mich so leichthin mit sich, als würde er mein Gewicht überhaupt nicht spüren. Auf dem Weg zur Treppe begegnete uns Gregory, der uns mit offenem Mund und offenkundiger Entrüstung anstarrte. Ich konnte es ihm nicht unbedingt verhehlen. Meine momentane Aufmachung konnte durchaus für moralische Befangenheit sorgen. Meine Bluse klaffte weit auseinander, weit mehr als es auch nur annähernd schicklich gewesen wäre. Meine Haare waren zerzaust, die Wangen hochrot und die Lippen von Raffaels Küssen angeschwollen. Ich kicherte amüsiert und winkte dem guten alten Gregory hinter Raffaels Rücken freundlich zu.

  McConnor verhielt kurz in der Bewegung und drehte sich grinsend zu seinem Lehnsmann um, nahm mir damit leider kurz die Sicht auf das wirklich bemerkenswert geschockte Gesicht seines Bodyguards. „Wenn du die Liebenswürdigkeit hättest, die Tür hinter uns zu schließen und in diesem Zusammenhang vielleicht auch gleich deinen Mund, wäre ich dir überaus dankbar, Gregory.“ Ohne sich weiter um den schockierten Vampir, noch um meine Bemühungen einen letzten Rest von Würde zu zeigen, zu kümmern, setzte er seinen Weg unbeirrt fort. In meinem Schlafzimmer angekommen, versetzte er der Tür einen leichten Fußtritt, der sie mit einem lauten Krachen ins Schloss fallen ließ.

  „Wir haben den armen Gregory soeben entsetzlich schockiert. Ich wusste gar nicht, dass er ein derartiger Moralapostel ist, Raffael“, kicherte ich in seinem Rücken. Mit Schwung landete ich rücklings auf meinem Bett und bevor ich auch nur reagieren konnte, wurde ich auch schon von meinem allerliebsten Unsterblichen in die Kissen gedrückt. Er rollte sich auf meinen Körper, sein Gewicht auf seine gestreckten Arme abgestützt, um mich nicht vollständig zu erdrücken.

  „Du bist ein abgrundtief verdorbenes Weibsstück, Cathleen Neyron“, erwiderte er gespielt entrüstet, „Gregory ist nicht so leicht zu erschüttern, aber seine zukünftige Fürstin in einer derartigen Aufmachung zu sehen hat ihn selbstverständlich ein wenig aus der Fassung gebracht. Sieh dich nur mal an. Du könntest einen Heiligen in Versuchung führen.“

  Ich wollte, empört über diese Äußerung, protestieren, schließlich hatte ich mich nicht selbst in diesen liederlichen Zustand versetzt, aber Raffael ließ mich nicht zu Wort kommen. Seine Lippen verschlossen meinen Mund höchst wirkungsvoll und meine Gedanken verschwammen. Als ich meine Augen wieder öffnete, blickten mir zwei gierig funkelnde, tiefblaue Augen entgegen. Das Feuer, das ihnen loderte, verriet mir die Befriedigung, die er verspürte, mich wieder einmal vorübergehend ausgeknockt zu haben. Raffael hatte meinen Körper wieder aus dieser Erstarrung geweckt, die mich seit meinem Martyrium gefangen gehalten hatte. Mein Verlangen überrollte mich übergangslos. Mein Körper und meine Seele verspürten, ganz eindeutig, keine Lust mehr in Tränen und Verzweiflung zu verharren. In mir brannte  hell das Feuer der Begierde. Meine Hände machten sich selbständig und über Raffaels Hemd her. Ein kleines böses Lächeln auf den Lippen, suchte ich seinen Blick. Als ich seiner gesamten Aufmerksamkeit sicher sein konnte, schob ich lässig meine Finger in seine Knopfleiste und riss ihm mit einem einzigen Ruck sein Hemd entzwei. Die Knöpfe flogen in hohem Bogen davon, sein Hemd stand bis zur Taille offen. Fasziniert betrachtete ich seinen nackten Oberkörper. Vorsichtig, fast ehrfürchtig fuhr mein Zeigefinger die Linien seiner Muskeln nach. Raffael hatte seinen Oberkörper hoch gestemmt, seine Arme waren durchgedrückt und sein gesamtes Gewicht lastete nun auf meinem Becken. Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und seine Augen genüsslich geschlossen. Für die Ewigkeit einer Sekunde verharrte er völlig bewegungslos, dann kam wieder Leben in ihn. Er öffnete die Augen, der Schleier seines Verlangens hob sich nur langsam, machte einem diabolischen Grinsen Platz. Seine eine Hand hob mein Kinn etwas an, seine Augen waren nun beinahe schwarz vor Begehren.

  „So, so“, flüsterte er heiser, „mein kleines Mädchen will spielen? Ich hoffe, du hast genügend Wäsche zum Wechseln in deinem Schrank.“

  Ich grinste ihm frech ins Gesicht: „Mein Kleiderschrank platzt aus allen Nähten, McConnor, tu dir keinen Zwang an!“

  Raffaels Antwort auf mein Grinsen wurde hinterhältig: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht, mein Engel, du wirst heute Nacht noch um ganz andere Dinge bitten, das kann ich dir versprechen.“ Prickelnd wie Champagner ergoss sich das dunkle Timbre seiner verführerischen Stimme über meine gereizten Sinne.

  „Dein Wort in Gottes Ohren, mein Süßer. Leg dir keine Beschränkung auf, mal sehen, wer hier um Gnade fleht.“ Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass mein schottischer Vampir keine Eile kannte. Während ich ihm am allerliebsten seine Klamotten vom Leib reißen wollte, legte er ein bedeutend gemächlicheres Tempo vor. Seine Augen funkelten vor Vergnügen, als er mir mit seinen Zähnen langsam einen Knopf nach dem anderen abbiss und so meine Bluse unbrauchbar machte. Ungeduldig griff ich nach seinem Hemdkragen, um zu reißen und zu zerren, aber Raffael dachte ja überhaupt nicht daran das Zepter aus den Händen zu legen. Bevor ich auch nur mit den Augen zwinkern konnte, legten sich seine Hände um meine Handgelenke und führten sie zielsicher über meinem Kopf zusammen, hielten sie dort unnachgiebig fest. Ich konnte mich noch so sehr winden, er gab nicht nach. Mit nur einem Finger fuhr er sachte am Ausschnitt meines Spitzenhemdchens entlang, folgte den Konturen dieses zarten Kleidungsstücks. Ohne Kraftanstrengung, nur unter zusätzlichem Einsatz seines Daumens fügte er meinem Hemdchen einen tiefen Riss zu, den er aufreizend langsam soweit erweiterte, bis es weit aufklaffte und mehr Haut offenbarte, als es gut für meinen Seelenzustand gewesen wäre.

  „Angeber“, murmelte ich nur noch trocken in sein Ohr, dann verschloss sein ungeduldiger Mund meine Lippen. Sein Kuss war eine Offenbarung für mich, ich bebte am ganzen Körper vor Ungeduld, wollte ihn spüren. Diesen Gefallen tat er mir nun wirklich. Seine Hände, seine Lippen, seine Zunge und auch seine Zähne ließen meine Haut in Flammen aufgehen. Raffael spielte mit meinem Körper, versetzte ihn in einen Sinnestaumel, brachte ihn ein ums andere Mal beinahe bis auf den Gipfel der Leidenschaft, aber Erlösung war lange nicht vorgesehen. Ich verzehrte mich nach ihm, seinem Körper und am Ende der Nacht hatte er tatsächlich sein Wort gehalten. Atemlos bat ich um Gnade und Erlösung. Da mein Vampir ein ausgesprochen menschenfreundliches Individuum war, wurde mir schließlich beides gewährt. Mein Kopf sank zurück in die Kissen und der Schlaf umhüllte mich mit seinem tiefen Frieden.

  Ich konnte nur wenige Stunden geschlafen haben, denn als ich erwachte, war es noch dunkel. Raffael hatte die Kerzen wieder entzündet und ihr flackerndes Licht fiel auf sein schlafendes Gesicht. Eine nie gekannte Zärtlichkeit erfüllte mich, als ich ihn betrachtete. Es war mir nur sehr selten vergönnt, ihm beim Schlafen zuzusehen. Seine Gesichtszüge waren entspannt und hatten in diesem Zustand einen beinahe kindlichen Ausdruck. Mehr denn je glich er einem unschuldigen Engel. Eine Haarsträhne war ihm ins Gesicht gefallen. Liebevoll strich ich sie ihm zurück, da schlug er unvermittelt die Augen auf. Die Illusion des kleinen, unschuldigen Jungen wich augenblicklich, die kantigen Züge des Kriegers kamen wieder zum Vorschein. Nur in den Tiefen seiner leuchtenden Augen war noch immer ein winziges Abbild davon zu erahnen. Seufzend schmiegte ich mich an ihn, kuschelte mich unter der Decke dicht an seinen Körper. Wohlige Wärme umfing mich, sanft strichen mir seine Hände über den Rücken, pressten mich eng an sich und ich schlief wieder ein.

 



  Stille. Kälte. Dunkelheit. Das Glühen der untergehenden Sonne wurde gerade erst von einem blassen Mond abgelöst, der die Lichtung nur unzureichend beleuchtete. Aber ausreichend für die scharfen Augen des Jägers, der seiner Beute lautlos bis hierher gefolgt war. Seine kalten, blassen Augen belauerten jede Bewegung seines Opfers, das völlig ahnungslos auf der Waldlichtung stand und nach dem sportlichen Training nun im Mondschein seine Muskeln dehnte. Der Jäger konnte das heiße, frische Blut riechen, das von dem heftig pochenden Herz durch den Körper gepumpt wurde. Das Pulsieren des Blutes in den Adern seines Opfers dröhnte laut in den empfindlichen Ohren des Beobachters. Seine Fangzähne fuhren in jäher Vorfreude aus seinem Kiefer und seine Zunge leckte erwartungsvoll über seine grausam verzogenen Lippen. Noch bezwang er seine Gelüste. Er liebte es zu spielen. Fast noch mehr als die Befriedigung seines Durstes liebte er die Jagd. Den süßen Duft der Angst, den seine Opfer ausströmten, wenn sie plötzlich seine Gegenwart bemerkten und ihr Unterbewusstsein diesen grausamen Jäger als ihren Todesengel registrierte. Er berauschte sich an den Schreien der Angst und der Qual seiner Beute. Aus diesem Grund bevorzugte er die Abgeschiedenheit der Wälder für seine Jagdzüge. Die belebten Innenstädte versprachen zwar leichte Beute, aber dort musste er das gestellte Wild schnell und geräuschlos zur Strecke bringen, um keine unerwünschten Störungen und Unterbrechungen zu erleben. Seine Kräfte machten es ihm leicht seinen Fang schnell und wirksam zu beeinflussen. Diese Sterblichen hatten ihm ja so wenig entgegen zu setzen. Hier draußen in der Einsamkeit der riesigen Wälder konnte er dagegen seine grausamen Spiele mit den Opfern treiben.

   Er liebte es bisweilen seinen unfreiwilligen Blutspendern die abwegige Hoffnung auf Schonung einzugeben. Er trank dann nur soviel, dass sein unmittelbarer Durst gelöscht war und ließ seine Beute fliehen. Die Hoffnung auf ein Entkommen wurde jedes Mal brutal zerstört. Seine unmenschliche Schnelligkeit erlaubte es ihm, den Menschen einen vermeintlich großzügigen Vorsprung zu geben, aber es gab niemals ein Entkommen.

  Heute Abend hatte er es sich zum ersten Mal, seitdem er die Spur der menschlichen Auserwählten seines ärgsten Rivalen verfolgte, wieder einmal gegönnt seinen Neigungen und nicht nur der Pflicht nachzugeben. Die Blutopfer der vergangenen Tage hatten vorwiegend dazu gedient, seine Gefolgsleute bei Laune zu halten und natürlich eine unübersehbare Spur für die sterblichen Polizeikräfte zu legen. Er war sich sicher gewesen, dass deren kriminalistische Fähigkeiten ihn direkt zu Cathleen Neyron führen würden. Die Auswahl der Mordopfer, die seinen Männern als Nahrung dienten, war sehr zweckgebunden gewesen. Alle hatten in irgendeiner Weise in der Vergangenheit mit der Auserwählten zu tun gehabt und auch die dümmsten Sterblichen mussten über kurz oder lang über diese Gemeinsamkeit stolpern. Gestern endlich war es soweit gewesen. Seine Gefolgsleute hatten den Aufenthaltsort der Gesuchten lokalisiert, allerdings war ein Eingreifen unmöglich. Irgendetwas schützte die Umgebung von Cathleen. Es schien wie eine riesige, unsichtbare Schutzglocke alle Aggressionen von ihr fern zu halten. Also hatte sich der dunkle Jäger dazu entschlossen zu warten. Seine Männer hatten das Haus im weiten Umkreis umstellt und harrten seiner Befehle. Heute endlich nutzte er die Gelegenheit, seinen eigenen Bedürfnissen in befriedigender Weise nachzukommen.

   In manchen dieser Fälle geschah es, dass sich in der Hitze der Jagd noch ganz andere Bedürfnisse entzündeten, als die reine Befriedigung seines Durstes nach Blut. Wenn ihm die Gier nach seinem Opfer nicht nur seine Fangzähne wachsen ließen, sondern auch andere Körperteile diesem Bedürfnis nach Wachstum nachkommen wollten. Aus genau diesem Grund bevorzugte er vorwiegend junge Menschenfrauen, um sein Verlangen zu befriedigen. So war es ihm auch in diesem Fall geschehen. Es mochte sein, dass die leichte Ähnlichkeit seines potentiellen, unfreiwilligen Blutspenders mit der Auserwählten Raffaels den Ausschlag für diese Regungen gegeben hatte, jedenfalls wurde ihr diese Ähnlichkeit nun zum Verhängnis. Ihr Körper war ebenso klein und zierlich wie der ihrer Doppelgängerin und auch das lange rote Haar erinnerte den Jäger entfernt an sie. Der Schattenkrieger verfolgte sie schon eine ganze Weile in sicherem Abstand. Für einen Moment übernahm er ihr Bewusstsein, um sie dazu zu bewegen, ihren Lauf nicht schon vorzeitig abzubrechen. So bog sie, ganz entgegen ihrer Gewohnheiten, in den nahen Wald ab und joggte dort bis zu dieser, von jeder menschlichen Ansammlung weit entfernten, Lichtung.

  Einen Moment lang gönnte sich der Jäger noch den Anblick dieses grazilen, sich dehnenden Körpers. Übergangslos erstarrte die junge Frau mitten in ihren Bewegungen. Ihr Kopf ruckte hoch und ihre Augen suchten in der Dunkelheit nach einem Anhaltspunkt für ihre plötzliche Unruhe. Der Jäger wirkte für einen kurzen Augenblick beunruhigt, dann aber lächelte er anerkennend. Die Instinkte der Menschenfrau funktionierten vorzüglich, aber ihr Intellekt besiegte ihre rationelle Furcht und sie wandte sich wieder ihren Dehnübungen zu. Er entschloss sich zu handeln. Die Jagdsaison war eröffnet, das Spiel konnte beginnen. Rien ne vas plus. Nichts geht mehr.

  Er wählte genau diesen Augenblick der trügerischen Sicherheit, um die Distanz zwischen ihnen mit einem einzigen gewaltigen Satz zu überwinden. Federnd kam er einen knappen Meter vor seinem Opfer auf. Langsam und drohend richtete er sich auf und blickte ihr böse lächelnd in die Augen. Die Menschenfrau versteifte sich unwillkürlich. Ihre Augen weiteten sich angstvoll. Ihr Körper hatte diesen machtvollen, todbringenden Feind bereits erkannt und machte sich bereit zur Flucht. Nur ihr, auf zivilisiertes Handeln ausgerichtetes, Denken versuchte sich verzweifelt einzureden, es bestehe kein Grund zur Beunruhigung. Der Jäger kam hoch aufgerichtet beängstigend näher und sah auf sie herab. Wieder lächelte er sie lediglich bedrohlich an, wobei er dieses Mal betont langsam seine voll ausgefahrenen Fangzähne bleckte.

  Ein Schrei brach in die Dunkelheit der endlosen Wälder. Ihre Instinkte siegten über den Intellekt. Blitzschnell drehte sie sich um und rannte weiter in den Wald hinein. Sie rannte um ihr Leben. Genüsslich reckte sich der Jäger und lauschte dem Schrei fasziniert. Wenn ihr junger und starker Körper das hielt was ihre kräftigen Lungen versprachen, würde sie seinem grausamen Spiel vielleicht ein wenig länger standhalten, als die anderen unsäglich enttäuschenden Sterblichen. Beinahe besinnlich setzte er dem sich entfernenden Wild nach. Er ließ die Menschenfrau ein paar Mal in dem Glauben, ihm entkommen zu sein, bis ihn dieser Zeitvertreib langweilte. Die Jagd hatte sein Blut erhitzt und seinen Durst entfacht. Übergangslos sprang er ihr in den Weg und packte sein hilfloses Opfer an den Schultern. Beinahe sanft strich er ihr die langen Haare aus dem Gesicht und entblößte ihren langen schlanken Hals. Genießerisch schlug er seine Zähne in das zarte Fleisch seiner wie paralysiert wirkenden Beute. Mit langen, lustvollen Zügen trank er das sprudelnde Blut, das ihm heiß und prickelnd in den Mund lief. Der Jäger ließ sich zusammen mit seiner sich inzwischen heftig wehrenden Beute langsam auf den kühlen Waldboden niedersinken. Ihre Gegenwehr belustigte ihn, konnte sie ihm doch nichts wirksames entgegensetzen. Seine eine Hand hielt ihre beiden Handgelenke mühelos über ihrem Kopf fest und presste so ihre Schultern fest gegen den Boden. Ihre Schreie waren inzwischen in hemmungsloses Schluchzen übergegangen. Mit einer einzigen Bewegung seiner freien Hand, riss er der Frau ihre Kleidung vom Leib und ließ seine Fangzähne wieder und wieder in ihren Körper fahren und übersäte ihn mit seinen Bissmalen. Erst als sein grober Durst gestillt war, zog er langsam seine Zähne aus ihrem Fleisch zurück. Der Atem seines Opfers rasselte und ihr Herz ging rasend schnell. Ihre weitaufgerissenen Augen drückten ihre unendliche Qual aus. Mit schwachen Bewegungen versuchte sie sich zusammenzurollen, weg von diesem unbarmherzigen Scheusal. Der Vampir setzte sich auf seinen Fersen zurecht und betrachtete zufrieden diesen zerschundenen Körper. Blut tropfte ihm von den Lippen, die sich zu einem brutalen Grinsen verzogen, aber noch hatte er nicht genug, seine Sinne waren erhitzt und das Blut pochte verzehrend in seinen Lenden. Er zog die Menschenfrau wieder zu sich heran, spielerisch leicht wie eine Puppe. Seine Lippen und seine Hände lösten seine Fangzähne in ihrer Funktion ab. Entsetzt verfolgte die Frau die Wandlung der Dinge. Sie hatte keine Chance gegen die sinnlichen Kräfte dieses mächtigen Vampirkriegers. Sie schluchzte beschämt und vollkommen außer sich auf, als ihr gepeinigter Körper trotz der Todesnähe und der unerträglichen Schmerzen lustvoll auf diese begierigen Berührungen reagierte. Immer wieder brachte ihr Bezwinger sie in immer höhere Sphären und ein Höhepunkt nach dem anderen erschütterte ihre miteinander verschlungenen Körper. Dann war es vorbei. Der Jäger genoss es, als der Körper unter ihm wie in einem stillen Akt der Hingabe in seinen Armen zuerst erstarrte, dann vollständig erschlaffte und der Hauch des Lebens wich. Bewusstlos sank sie zu Boden. Unwillig zog er seine Fangzähne, die er nochmals in den Hals seines Opfers geschlagen hatte, zurück. Leider musste er eine Pause einlegen, damit seine Beute wieder neue Kräfte schöpfen konnte, schließlich hatte er nicht vor, dieses köstliche Spiel vorzeitig zu beenden.

Er selbst gedachte das von ihm begonnene Spiel zu Ende zu spielen. Brutal zog er sein Opfer an den Haaren empor und brachte sie damit wieder auf die Beine. „Dexter will spielen“, wisperte er der Frau grausam zu. Mit einem beinahe schon zärtlichen Schlag auf den Hintern versetzte er sein Opfer in Bewegung. „Lauf“, flüsterte er heiser.

   Als sein Spielzeug mit unsicheren Schritten stolpernd in der Dunkelheit verschwand, verzog er verächtlich sein Gesicht. Er hoffte inständig, dass diese schwache, kleine Menschenfrau sich ihren entzückenden Hals nicht schon bräche, bevor er mit ihr fertig war. Das wäre eine wahrhaft elendige Verschwendung von brauchbarem Material. Mit dem Geruch ihres süßen Blutes in der Nase, nahm er gemächlich die Verfolgung auf.

 

Letzte Aktualisierung vom: 10. April 2016